Die Jagd auf den großen Bären

Bild: Pixabay

Eine Legende der Irokesen, in der von der stets wiederkehrenden Jagd nach dem Großen Bären erzählt wird, dessen Blut die Blätter im Herbst stets rot färbt. Wer aufmerksam den Himmel beobachtet, kann die Geschichte sogar in den Sternen lesen. [mehr…]

Der Nyah-Gwaheh

 

Vor langer Zeit gab es vier Jäger, die Brüder waren. Kein Jäger konnte so gut eine Spur verfolgen wie sie. Wenn sie die Fährte einer Beute einmal aufgenommen hatten, gaben sie niemals auf.

Eines Tages, als der Mond aufging und die kalten Nächte begannen, erreichte das Dorf der vier Jäger eine erschreckende Nachricht. Ein riesiger Bär, so groß und stark, dass manche Menschen meinten es sei ein Monster, war erschienen. Die Bewohner des Dorfes, in dessen Jagdgebiet der unheimliche Bär eingedrungen war, hatten nun schreckliche Angst.

Langhaus, Bild: Wikipedia, gemeinfrei

Die Kinder gingen nicht mehr zum Spielen in den Wald. Die Langhäuser des Dorfes wurden jede Nacht von bewaffneten Männern bewacht, die sich an die Eingänge stellten. Jeden Morgen, wenn die Leute aus den Häusern kamen, fanden sie die riesigen Spuren des Bären genau in der Mitte ihres Dorfes. Sie wussten, dass der Bär bald noch mutiger und bedrohlicher werden würde.

Die vier Jäger nahmen ihre Speere, riefen ihren kleinen Hund und machten sich auf in Richtung des  bedrohten Dorfes, das nicht weit entfernt lag. Als sie sich dem Dorf näherten, bemerkten sie wie ruhig es im Wald war. Es gab keine Anzeichen von Hasen, noch Rehen, sogar die Vögel waren leise.

An einer großen Kiefer fanden sie Kratzspuren. Der Bär hatte sich auf die Hinterbeine gestellt und mit seinen riesigen Tatzen sein Revier markiert. Der größte der Brüder versuchte mit seiner Speerspitze die oberste Kratzspur zu erreichen. Der Bär musste gigantisch sein.
"Es ist wie die Dorfbewohner befürchtet haben.", sagte der älteste Bruder. "Der Bär, den wir jagen, ist der Nyah-Gwaheh, ein Monsterbär!".
"Was ist mit seiner Magie?", fragte der zweite Bruder.
Der älteste Bruder zuckte mit den Schultern und antwortete: "Die Magie wird ihren Weg gehen, egal ob wir seine Spur finden!"

"So ist es!", sagte der dritte Bruder. "Ich habe es immer von den Alten gehört. Diese Kreaturen können einen Jäger nur so lange jagen, wie diese seine Spur noch nicht gefunden haben. Sobald Du die Spur des Nyah-Gwaheh aufgenommen hast und ihn zu jagen beginnst, muss er davon laufen."

"Brüder", sagte der vierte Jäger, der der dickste und faulste war, "haben wir eigentlich genügend Essen mitgenommen? Es wird wohl einige Zeit dauern, diesen großen Bären zu fangen. Ich bin hungrig."

Im Dorf

Nicht lange und die vier Jäger erreichten mit ihrem kleinen Hund das Dorf. Es war ein trauriger Anblick. Kein Feuer brannte in der Mitte des Dorfes und die Türen aller Langhäuser waren geschlossen. Grimmig dreinblickende Wachen standen mit Knüppeln und Speeren herum, kein Fleisch war zum Trocknen aufgehängt, keine Häute waren zum Bleichen ausgelegt. Die Bewohner sahen ziemlich hungrig aus.

Der alte Häuptling des Dorfes kam heraus und der größte der Jäger sprach mit ihm. "Onkel", sagte er, "wir sind gekommen um Euch zu helfen das Monster zu besiegen."
Dann sprach der dickste und faulste der Brüder. "Onkel", sagte er, "gibt es hier etwas zu essen für uns Gibt es einen Platz an dem wir uns ausruhen können bevor wir diesen Bär jagen? Ich bin müde!"

Der erste Jäger schüttelte den Kopf und lächelte. "Mein Bruder macht nur einen Witz, Onkel.", sagte er. "Wir gehen gleich los und werden die Spur des Monsterbärs aufnehmen!".

"Ich bin mir nicht sicher, dass ihr das tun könnt, Neffen!", sagte der alte Häuptling. "Wir finden zwar jeden Morgen Spuren, die immer näher an unsere Häuser kommen, aber sobald wir sie nach verfolgen, verschwinden sie!"

Der zweite Jäger kniete nieder und streichelte den Kopf ihres kleinen Hundes. "Onkel", sagte er, "das liegt daran, dass sie keinen Hund wie unseren haben!" Er zeigte auf die zwei schwarzen Ringe über den Augen des Hundes. "Vier Augen können mehr sehen als zwei, sie können sogar Spuren sehen, die mehrere Tage alt sind!"

"Möge die Kraft des Schöpfers mit Euch sein!", sagte der alte Häuptling.

"Keine Sorge, Onkel", sagte der dritte Jäger. "Wenn wir einmal eine Spur aufgenommen haben, hören wir nicht auf, bis  wir unsere Jagd beendet haben!"
"Deswegen denke ich, dass wir zuerst etwas essen sollten.", sagte der vierte Jäger. Aber seine Brüder hörten ihm nicht zu. Sie nickten dem alte Häuptling zu und verließen das Dorf. Seufzend hob der dickste und faulste von den Brüdern seinen langen Speer auf und trottete seinen Brüdern hinter her.

Irokesen, Bild: Wikipedia, gemeinfrei

Die Jagd beginnt

Sie liefen durch den Wald und folgten ihrem kleinen Hund. Der hob immer wieder seinen Kopf und schaute mit seinen vier Augen umher. Die Spur des Bären war nicht einfach zu finden.

"Brüder", beschwerte sich der dickste und faulste Jäger., "denkt ihr nicht auch wir sollten eine Pause machen? Wir laufen schon seit langer Zeit herum." Aber seine Brüder schenkten ihm keine Aufmerksamkeit. Auch wenn sie keine Spuren fanden, sie konnten die Anwesenheit des Nyah-Gwaheh fühlen. Sie wussten genau, wenn sie nicht bald seine Spur finden, dann würde das Monster sie verfolgen und dann wären sie die Gejagten.

Der dickste und faulste der Brüder holte seine Tasche mit Pemmikan, also Trockenfleisch, hervor. Wenigstens konnte er so beim Laufen etwas essen. Er öffnete seine Tasche und freute sich auf die getrockneten Fleischstreifen, die er liebevoll mit Ahornsirup und Beeren eingelegt hatte, um sie anschließend in der Sonne zu trocknen. Aber anstelle des leckeren Pemmikan griff er in eine bleiche, schwabbelige Masse. Die Magie des Nyah-Gwaheh hatte sein leckeres Pemmikan in Würmer verwandelt.

"Brüder", rief der dickste und faulste Jäger, "lasst uns beeilen und den Bären fangen! Schaut mal was er mit meinem Trockenfleisch gemacht hat! Jetzt bin ich richtig sauer!"

In der Zwischenzeit näherte sich durch die Bäume wie ein gigantischer bleicher Schatten der Nyah-Gwaheh, den Jägern. Sein Maul war geöffnet während er die Jäger beobachtete und seine weißen Zähne blitzen hervor. Seine Augen leuchteten rot. Nicht mehr lange und er würde hinter ihnen sein und ihre Spur verfolgen. In diesem Augenblick hob der kleine Hund seinen Kopf und bellte. "Ey-heee!", jubelte der älteste Bruder und der zweite rief, "Vier-Auge hat die Spur gefunden!". "Wir haben die Spur des Nyah-Gwaheh!", sagte der dritte Bruder. "Großer Bär," schrie der dickste und faulste von ihnen, "wir sind nun hinter Dir her!"

Auf der Spur des Großen Bären 

irokesenkrieger, Bild: Wikipedia, gemeinfrei

Zum ersten mal beschlich den großen Bären Angst und er begann zu rennen. Als er dabei die Pinienzapfen abbrach, sahen ihn die vier Jäger; einen riesigen, weißen Schatten, so bleich, dass er fast nackt aussah. Mit lautem Jagdgebrüll eröffneten sie die Jagd auf ihn und rannten hinter ihm her. Die Schritte des Bären waren weit und er rannte flinker als ein Reh. Aber auch die vier Jäger und ihr kleiner Hund waren geschickt und so konnte der Bär sie nicht abschütteln. Die Spur führte durch feuchte Sümpfe und dichtes Dickicht. Sie war einfach zu lesen, denn der Bär rannte alles um was ihm in den Weg kam, sogar große Bäume.
Immer weiter ging die Jagd, über Berge und durch tiefe Täler. Sie kamen an einen Berghang und folgten der Spur immer höher hinauf. Immer wieder erhaschten sie hinter dem nächsten Hügel einen kurzen Blick auf ihre Beute.

Da wurde der faule Jäger müde vom Laufen. Er tat, als sei er hingefallen und habe sich dabei den Knöchel verletzt. "Brüder", rief er, "ich habe meine Knöchel verstaucht. Ihr müsst mich tragen!"

Die drei Brüder taten was er wollte. Zwei trugen ihn und der dritte nahm seinen Speer. Sie rannten nun langsamer aufgrund ihrer schweren Last, aber der Bär konnte sie nicht abhängen. Der Tag wurde zur Nacht, sie konnten jedoch immer noch den weißen Schatten des großen Bären deutlich vor ihnen erkennen.

Das Ende der Jagd und neuer Anfang

Sie waren auf der Bergspitze angekommen und der Boden unter ihren Füßen war sehr dunkel während sie immer weiter rannten. Der Bär wurde müde und auch die Jäger fühlten die Müdigkeit in sich aufsteigen. Es war nicht so einfach die ganze Zeit ihren faulen und dicken Bruder zu tragen. Der kleine Hund, Vier-Auge, war nahe am Bären dran, während er beim Rennen schon den Schwanz des Bären berühren konnte.

“Brüder”, sagte der dickste und faulste von ihnen, “setzt mich ab! Ich glaube, das mein Bein besser geworden ist.”

Die Brüder taten was er wollte. Frisch und ausgeruht griff der faulste und dickste Jäger seinen Speer und flitzte an den anderen vorbei. Gerade als der große Bär sich umdrehte und den kleinen Hund beißen wollte, hob der faulste und dickste Bruder seinen Speer und warf ihn gezielt in das Herz des Nyah-Gwaheh. Der Monsterbär fiel tot zu Boden.

Bis die drei anderen Brüder ankamen, hatte der dickste und faulste von ihnen bereits das Feuer angemacht und war dabei den Bären zu zerlegen.

“Kommt, Brüder!”, sagte er, “Lasst uns essen. Das ganze Herumrennen hat mich hungrig gemacht!”

So kochten sie das Bärenfleisch und das weiße Fett zischte, wenn es ins Feuer fiel. Sie aßen bis auch der dickste und faulste satt war und sich zufrieden zurück lehnte.

In diesem Augenblick sah der erste Jäger auf seine Füße herunter.

“Brüder,”, sagte er, “seht einmal nach unten!”

Die vier Jäger sahen nach unten. Unter ihnen waren tausende glitzernder Lichter in der Dunkelheit, die, wie sie bemerkten, auch überall um sie herum waren.

“Wir sind auf gar keiner Bergspitze!”, stellte der dritte Bruder fest. “Wir sind oben im Himmel!”

Und so war es. Der große Bär hatte tatsächlich seine Magie eingesetzt. Seine Füße hatten ihn immer höher von der Erde hinweggetragen, als er versuchte den Jägern zu entkommen. Aber auch die Jäger, die in ihrer Verfolgungsjagd nicht aufgegeben hatten, waren auf dem magischen Pfad immer höher geführt worden.
Plötzlich bellte ihr kleiner Hund zweimal.
“Der große Bär!”, rief der zweite Jäger, “Seht!”
Die Jäger sahen, dass an der Stelle, wo sie seine Knochen vom Fleisch getrennt hatten, der große Bär wieder zu Leben erwachte und sich auf seine Beine stellte. Während sie noch beobachteten, begann der Bär zu rennen, dicht gefolgt von ihrem kleinen Hund.
“Folgt mir!”, rief der erste Bruder. Sie griffen ihre Speere und die vier Jäger begannen erneut den Großen Bären über den Himmel zu jagen.

... und darum verfärben sich die Ahornblätter im Herbst rot

Bild: Wikipedia, gemeinfrei

So war es, sagen die Alten, und so wird es immer sein. Jeden Herbst jagen die Jäger den Großen Bären über den Himmel und töten ihn. Dann, wenn sie sein Fleisch für das Essen abschneiden, tropft sein Blut vom Himmel auf die Erde und färbt die Ahornblätter rot. Sie kochen das Fleisch des Bären und das Fett was vom Feuer auf die Erde tropft färbt das Gras weiß.

Wenn Du zum Wechsel der Jahreszeiten aufmerksam in den Nachthimmel siehst, kannst Du die Geschichte lesen. Der Große Bär hat eine rechteckige Form, manche nennen einen Teil von ihm den Großen Wagen. Die Jäger und den kleinen Hund kannst Du nur schwer erkennen, sie sind direkt hinter dem Griff des Großen Wagen.
Wenn der Herbst kommt und diese Sternenkonstellation steht auf dem Kopf, sagen die Alten “Ah, der faule Jäger hat den Bären getötet!”. Aber nach vielen Monden, wenn der Himmel sich wieder dem Frühling zuneigt, erwacht der Bär langsam wieder und die Jagd beginnt von vorne.

 

Anmerkung:
In der Sprache der nordamerikanischen Ureinwohner bedeutet Nyah-Gwaheh soviel wie großer Bär, nackter Bär oder auch Monsterbär.

Englischsprachige Legende der Irokese "The Hunting oft the Great Bear".
Übersetzung von Silke Woitas-Krüder.
© Copyright 2020 - Alle Rechte an der deutschen Übersetzung vorbehalten.

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